15.05.2017
Etwa 100 Delegierte aus den Jugendverbänden und Kreisjugendringen in Schleswig-Holstein sowie Gäste von Parteien und Verbänden waren der Einladung des Landesjugendrings zu seiner jährlichen Vollversammlung ins Haus des Sports in Kiel gefolgt und beschlossen „Kinder und Jugendliche brauchen Ferienfreizeiten - Ferienfreizeiten brauchen Unterstützer_innen".
Der 15. Kinder- und Jugendbericht[1] stellt heraus, welche wichtige Rolle Ferienfreizeiten in ihren unterschiedlichen Formaten von Wochenendfahrten, Zeltlagern und Ferienspielprojekten bis hin zu mehrwöchigen Auslandsfahrten und internationalen Jugendbegegnungen für Kinder und Jugendliche spielen. Die Nachfrage ist ungebrochen hoch: Von den Zwölf- bis 13-Jährigen in Deutschland nehmen mehr als die Hälfte und bei den 16- bis 17-Jährigen immerhin noch ein Drittel einmal im Jahr an einer Freizeit teil, ohne wesentliche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen.
Ferienfreizeiten sind wichtig, weil sie einen Freiraum zur Erprobung und Selbstpositionierung von Kindern und Jugendlichen darstellen, den es im übrigen Alltag nicht gibt. Sie zeichnen sich durch folgende Merkmale aus:
- Ferienfreizeiten sind Bildungsorte, für Teilnehmer*innen ebenso wie für ehrenamtliche Teamer*innen. Kinder und Jugendliche und ihre Entwicklung in der Gruppe stehen im Mittelpunkt, nicht formale Bildung oder touristische Highlights. Ohne Familie und Geschwister lernen Kinder und Jugendliche, sich in eine Gruppe einzufinden und sich als selbstbestimmte Persönlichkeit zu entwickeln.
- Ferienfreizeiten entfalten dann eine besondere Wirkung, wenn sie nicht punktuelle Angebote bleiben, sondern es gelingt, Kinder und Jugendliche dadurch niedrigschwellig an andere Angebote der Jugendarbeit heranzuführen und sie in dauerhafte Gruppen einzubinden. Hier liegen besondere Chancen für geflüchtete und andere benachteiligte Kinder und Jugendliche.
- In den Ferienfreizeiten von Jugendverbänden, Jugendringen und anderen Trägern der Jugendhilfe findet Persönlichkeitsentwicklung auf Grundlage eines Wertefundaments statt. Toleranz und Vielfalt werden gelebt und Kinder und Jugendliche erfahren durch Mitbestimmung im Kleinen, wie sie an der Entwicklung der Gesellschaft partizipieren können. Dadurch unterscheiden sie sich deutlich von kommerziellen Angeboten.
- Ferien und Ferienfreizeiten sind eine der wenigen Zeiten, in denen Kinder und Jugendliche heute unverzweckt ihren Interessen nachgehen oder entspannen können.
- Nicht zuletzt fördern Ferienfreizeiten Naturerlebnisse und körperliche Betätigung, die bei vielen Kindern und Jugendlichen zu Hause zu kurz kommen.
Trotz der heutzutage noch wichtiger werdenden Funktion als Freiraum für Kinder und Jugendliche stehen Ferienfreizeiten vor besonderen Herausforderungen, mit denen sich insbesondere ehrenamtliche Teamer*innen konfrontiert sehen.
Herausforderungen für Teamer*innen
Teamer*innen brauchen eine gute Jugendleiter*innen-Ausbildung, um Freizeiten qualitativ hochwertig gestalten und die Entwicklung der Teilnehmer*innen unterstützen zu können.
- Die Herausforderungen an die Ausbildung von Teamer*innen sind mit der Zielsetzung, möglichst niedrigschwellig Kinder und Jugendliche mit schwierigen Erfahrungen, Verhaltensauffälligkeiten oder Behinderungen mitzunehmen, gestiegen. Gleichzeitig haben Teamer*innen weniger Zeit: Früher fanden Vorbereitungswochenenden von Freitag bis Sonntagabend statt. Heute enden sie Sonntagfrüh, weil Jugendliche noch für Schule, Ausbildung oder Studium lernen müssen.
- Neben den pädagogischen Anforderungen sind auch verwaltungstechnische Anforderungen an Teamer*innen gestiegen. Die Akquise von Fördermitteln, gerade auch um Kinder und Jugendliche aus finanziell schwachen Familien mitzunehmen, ist nur eine davon. Der Landesjugendring unterstützt hier mit der Aktion „Kein Kind ohne Ferien“. Weitere Beispiele sind: Hygieneschulungen (Küche), GEMA- (Lagerdisco) und Künstlersozialkasse (Werbeflyer), Versicherungen und Haftungsfragen, erweiterte Führungszeugnisse, Bildrechte, steuerliche Behandlung von Aufwandsentschädigungen, Anträge zu Freistellung und Verdienstausfall, Genehmigungen (Durchfahrten…), statische Berechnungen (Zeltbauten) usw.
- Für Teamer*innen stehen Erwartungen von außen und eigene Ansprüche in einem Spannungsverhältnis zur Finanzierbarkeit. Nachhaltigkeit (Toastbrot vom Discounter oder Vollkornbrot aus der Biobäckerei, Autofahrt oder Bahnreise usw.) und Digitalisierung (Onlinebuchung von Zeltlagerplätzen und die Kosten für die entsprechende Programmierung) sind nur zwei Beispiele von vielen.
Eltern als Unterstützer*innen
Elternarbeit erfordert heute eine besondere Aufmerksamkeit der Organisator*innen von Jugendarbeit. Wir fordern Eltern auf, eigene Ansprüche zu überdenken und eine Perspektive einzunehmen, die vom Kind her denkt. Kinder und Jugendliche brauchen Freiräume, um sich zu selbstbestimmten Persönlichkeiten zu entwickeln.
- Dazu gehört Vertrauen in eigene Kinder und Teamer*innen: Eltern müssen nicht über jede Bewegung ihres Kindes informiert sein, damit es dem Kind gut geht. Zeiten ohne Kontakt per Handy oder anderweitig können für beide Familienteile gut sein.
- Zwei Drittel lernen Kinder und Jugendliche erwiesenermaßen außerhalb der Schule. Ferien sind notwendige Erholungs- und Freiräume, die auch ohne formales Lernen wie Nachhilfe und Sprachurlaub oder Berufspraktika wichtige Bildungsprozesse ermöglichen. Eltern sollten die Ferien von Kindern nicht verplanen.
- Ehrenamtliche Leitung von Freizeiten bedeutet keine Betreuungs- oder Dienstleistung, während Eltern arbeiten, sondern erfordert ihre Unterstützung. Wenn es einem Kind nicht gut geht oder es aus anderen Gründen nicht mehr die Freizeit besuchen kann, müssen Eltern erreichbar sein und können die eigene Verantwortung nicht an Ehrenamtliche abgeben.
- Gemeinnützige Ferienfreizeiten stehen einem sich zunehmend professionalisierenden und kommerzialisierenden Jugendreisemarkt gegenüber; viele Eltern müssen erst ein Bewusstsein für die Unterschiede entwickeln. Teamer*innen auf Ferienfreizeiten sind in der Regel sehr gut ausgebildet und der Betreuungsschlüssel von gemeinnützigen Ferienfreizeiten ist in der Regel deutlich höher. Der Betreuungsschlüssel ist laut Studien besonders wichtig für die Beurteilung der Qualität von Ferienfreizeiten durch die Teilnehmer*innen. Die Motivation ehrenamtlicher Teamer*innen geht von der Freude an der Gestaltung von Ferienfreizeiten gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen aus. Kinder benötigen kein teures Angebot, um glücklich zu sein – Zelten im Nachbarkreis kann ebenso schön sein wie eine Fernreise.
- Ein günstiger Preis heißt aber nicht, dass Unverbindlichkeit der Anmeldung oder Kurzfristigkeit der Absage von Seiten der Eltern in Ordnung sind.
Politik als Unterstützer*in
Ferienfreizeiten sind ein wichtiges politisches Instrument, um allen Kindern und Jugendlichen Teilhabe zu ermöglichen, sie in ihrer Entwicklung zu stärken und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Wir fordern daher Politik auf, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen:
- Ferien als Freiräume und selbstbestimmte Zeiten für Kinder und Jugendliche zu erhalten. Freiräume für Ferienfreizeiten werden weniger – Schulen machen Ferienangebote, Student*innen schreiben Klausuren in der Schulferienzeit, bundesländerübergreifend sinken die gemeinsamen Ferienkorridore. Dieser Trend muss gestoppt werden.
- Freistellungsmöglichkeiten für Ehrenamtliche auszubauen und sicherzustellen, dass Studierende freie Zeiten ohne Klausuren parallel zu den Sommerferien haben.
- Finanzielle Unterstützung sicherzustellen und damit die Teilnahme aller Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen – auf Landesebene durch die Förderung von Trägern und das Ferienwerk ebenso wie in Kreis und Gemeinde.
- Eine einfache Gestaltung von Förderanträgen für Ferienfreizeiten und eine verwaltungstechnische Absprache mit den umliegenden Städten und Gemeinden vorzunehmen. Für Ehrenamtliche ist es eine unangemessene Belastung, für Teilnehmer*innen aus verschiedenen Gemeinden jedes Mal einen anderen Antrag auszufüllen, häufig für Förderbeiträge pro Tag und Teilnehmer*in, die den Aufwand kaum rechtfertigen.
- Bürokratieabbau zu unterstützen und da, wo nötig, Unterstützung bei der Bewältigung bürokratischer Hindernisse leisten zu lassen, z.B. durch die Förderung hauptamtlicher Stellen bei den freien Trägern. In den letzten Jahren ist durch den Abbau von Kapazitäten in Amtsverwaltungen im Bereich der Jugendarbeit außerdem Zeit und Wissen vielerorts nicht mehr vorhanden, um Ehrenamtliche in der Jugendarbeit zu unterstützen.
- Die Teilnahme junger Geflüchteter an Ferienfreizeiten zu unterstützen, durch Förderung und Abbau bürokratischer Hindernisse. Jugendgruppen, die in den Ferien ins Ausland reisen, müssen je nach Aufenthaltsstatus bei der zuständigen Ausländerbehörde oder beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) eine Genehmigung einholen. Der im Asylrecht geltende Satz, „Bedingungen und Auflagen können angeordnet werden“, wird in der Praxis unterschiedlich gehandhabt. Hier ist eine großzügige und transparente Auslegung des geltenden Rechts durch die Ausländerbehörden erforderlich.
- Eine für Ferienfreizeiten geeignete Infrastruktur sicherzustellen, dazu gehören z.B. die Orte, an denen Ferienfreizeiten stattfinden. Das Freizeitstättenverzeichnis des Landesjugendrings zeigt die Vielfalt der Einrichtungen, die erhalten bleiben muss, um die vorhandenen Bedarfe zu decken. Viele gemeinnützige Häuser und Zeltplätze kämpfen um ihr Überleben, weil die für den Erhalt der Einrichtung benötigten Mittel für Personal, Erfüllung rechtlicher Auflagen usw. zu höheren Übernachtungspreisen führen, die von den Trägern von Ferienfreizeiten aufgrund der eigenen schwierigen finanziellen Lage nicht aufgebracht werden können.
Ferienfreizeiten prägen die Lebensbiographie vieler Menschen nach wie vor durch besondere Erlebnisse und die Erfahrung von Zugehörigkeit. Sie sind und bleiben ein Kernelement der Jugendverbandsarbeit.
Beschluss 90. VV Kinder und Jugendliche brauchen Ferienfreizeiten