Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse sind eigenständige, unabhängige politische Akteur*innen
Beschluss der 98. Vollversammlung am 10.05.2025
Beschluss der 98. Vollversammlung am 10.05.2025
13.05.2025
In einer Zeit, in der gesellschaftliches Engagement und freiwillige Arbeit mehr denn je gefragt sind, steht der Freiwilligendienst als eine zentrale Säule für die Förderung von Solidarität, sozialer Verantwortung und Partizipation junger Menschen. Dieses gesellschaftliche Engagement ist es, was unsere demokratische Gesellschaft braucht. Es gilt im Blick zu behalten, dass wir zurzeit über militärische Bedrohungen und die Wiedereinführung eines Wehrdienstes diskutieren, aber Angriffe auf unsere Zivilgesellschaft bereits heute Realität sind. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass die wahre Stärke unserer Gesellschaft im sozialen Zusammenhalt liegt. Ein Baustein zur Stärkung dieses Miteinanders sollte die Förderung des Freiwilligendienstes sein, der nicht nur den Zusammenhalt stärkt, sondern auch eine langfristige Verteidigung unserer Werte ermöglicht. Durch den Einsatz junger Menschen für das Gemeinwohl - häufig als erster Kontakt mit ehrenamtlichen Engagement - können wir eine starke, resiliente Gesellschaft aufbauen, die auch in schwierigen Zeiten zusammenhält.
Doch während die Bereitschaft, sich zu engagieren, in der jungen Generation weiterhin hoch ist, stehen diese Freiwilligen oft vor wachsenden Herausforderungen. Die Rahmenbedingungen für Freiwilligendienste in Deutschland verschlechtern sich zunehmend – es gibt zu wenige attraktive Plätze, zu geringe finanzielle Unterstützung und es fehlt an Anerkennung. Die aktuelle gesellschaftliche Debatte um einen möglichen Pflichtdienst für junge Menschen wird von verschiedenen politischen Akteur*innen als Lösung für den angeblichen Mangel an freiwilligem Engagement und einen Arbeitskräftemangel (insbesondere im sozialen Bereich) betrachtet. Diese Sichtweise ruft in uns große Bedenken hervor.
Ein erzwungenes Engagement würde den Freiwilligendienst von seiner Kernidee – der selbstbestimmten, freiwilligen Entscheidung – entfremden. Wir sind überzeugt, dass eine positive Förderung von freiwilligem Engagement der bessere Weg ist, um langfristig die Werte der Solidarität und des Gemeinwohls zu stärken. Auch ignoriert die Forderung nach einem Pflichtdienst eine bestehende Problematik: Es gibt bereits jetzt in vielen Bereichen mehr junge Menschen, die sich engagieren möchten, als Plätze zur Verfügung stehen. Die Gründe für das Fehlen von Freiwilligenplätzen sind vielschichtig, häufig jedoch finanzieller Natur oder strukturellen Engpässen geschuldet. Ein Pflichtdienst, der nicht primär die Interessen der jungen Generation in den Blick nimmt, könnte die bestehenden Probleme verschärfen, ohne die grundlegenden Hürden zu adressieren.
Darüber hinaus gehen mit verpflichtendem (und damit faktisch erzwungenem) Engagement weitere Risiken einher. So könnte dies zu einer Abnahme der Qualität und Motivation in den Diensten führen, da junge Menschen nicht mehr aus eigener Überzeugung heraus handeln würden, sondern fremdbestimmt. Vor diesem Hintergrund des Zwangs wäre ein Pflichtdienst nicht nur unvereinbar mit den Grundrechten auf persönliche Freiheit, sondern er würde jungen Menschen auch die Chance nehmen, sich freiwillig und selbstbestimmt für eine Aufgabe zu entscheiden, die ihren Interessen und Fähigkeiten entspricht.
Kurzum: Für uns bedeuten Freiwilligendienste eine wertvolle Möglichkeit zur Persönlichkeitsentwicklung, zur gesellschaftlichen Teilhabe und zur Verteidigung unserer demokratischen Gesellschaft. Freiwilligendienste fungieren dabei insbesondere auch als Bildungs- und Orientierungsjahr für junge Menschen im Übergang zwischen Schule und Berufsleben. Zwang würde das Potenzial dieser Dienste untergraben und zu einem Verlust an Engagement und Motivation führen. Unser Ziel als Gesellschaft sollte es daher sein, die Rahmenbedingungen für Freiwilligendienste zu verbessern. Durch Anreize und Unterstützung können die Attraktivität und Möglichkeiten der Freiwilligendienste erhöht werden, und somit auch das freie, kreative Engagement.
Wir fordern daher:
Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst: Es muss einen Rechtsanspruch auf die Teilnahme an einem Freiwilligendienst eingeführt werden, der allen jungen Menschen offensteht, die (insbesondere) nach dem Schulabschluss oder im Übergang zur Berufsbildung ein freiwilliges Engagement anstreben. Wo (junge) Menschen, Einsatzstellen und Träger sich auf den Abschluss einer Freiwilligendienst-Vereinbarung einigen, wird diese automatisch durch den Bund gefördert.
Ausreichende finanzielle Unterstützung: Der Freiwilligendienst muss mit einem staatlich finanzierten Freiwilligendienstgeld ausgestattet werden, das sich am BAföG-Höchstsatz orientiert, um den jungen Menschen einen selbständigen Lebensunterhalt während des Dienstes zu ermöglichen. Nur so können Freiwilligendienste für alle offen sein, unabhängig von ihrer Wohnsituation und den finanziellen Möglichkeiten der Eltern.
Dynamisierte Finanzierung: Eine getrennte dynamisierte Finanzierung von Trägern und Taschengeld für die Freiwilligen muss sichergestellt werden, um die Unabhängigkeit der Träger zu gewährleisten und zu verhindern, dass die Qualität der Arbeit zugunsten finanzieller Zwänge leidet.
Kostenfreie Mobilität für Freiwillige: Freiwillige sollen ein kostenfreies Deutschlandticket erhalten, um ihre Mobilität während des Dienstes zu gewährleisten und den Zugang zu Freiwilligendiensten landesweit zu erleichtern.
Anerkennung und Rentenpunkte für den Freiwilligendienst: Der Freiwilligendienst soll als wertvolle Erfahrung anerkannt werden, welche die Freiwilligen beruflich und persönlich fördert, z.B. als Pflichtpraktikum oder Studienvoraussetzung. Zudem sollten Freiwillige für das Jahr des Dienstes Rentenpunkte erhalten, ähnlich wie bei Erziehungszeiten.
Bessere Beratungs- und Informationsangebote: Die Auswahl und Beratung von jungen Menschen, die sich für einen Freiwilligendienst interessieren, muss durch eine landesweite Informationskampagne und individuell zugeschnittene Beratung verbessert werden. Zudem sollte die Information über Freiwilligendienste verpflichtend in das schulische Curriculum aufgenommen werden, um frühzeitig auf diese Möglichkeit aufmerksam zu machen.
Ausbau der Plätze im Freiwilligendienst: Es müssen dringend mehr Plätze für Freiwillige geschaffen werden, da der Bedarf nach sozialen Engagements groß ist, jedoch häufig an finanziellen Mitteln scheitert. Der LJR SH fordert, dass die öffentliche Hand in Zusammenarbeit mit den Trägern die Zahl der Freiwilligendienstplätze signifikant erhöht. Dabei müssen auch ländliche Regionen und strukturschwache Gebiete in Schleswig-Holstein ausreichend berücksichtigt werden, um eine gerechte Verteilung und ein flächendeckendes Angebot sicherzustellen. Der derzeitige Mangel an Plätzen zeigt deutlich, dass die Nachfrage vorhanden ist, jedoch oft die nötige finanzielle Unterstützung für die Träger fehlt.
Freiwilligendienste sind ein wesentlicher Bestandteil einer aktiven und solidarischen Gesellschaft. Sie ermöglichen jungen Menschen, ihre Stärken zu entdecken, soziale Verantwortung zu übernehmen und sich persönlich sowie beruflich weiterzuentwickeln. Sie fördern Partizipation, Solidarität und Mitgestaltung und bieten den Einsatzstellen zusätzliche Unterstützung. Zudem verbessern Freiwilligendienste die berufliche Orientierung und erhöhen die Selbstorganisation der Freiwilligen. Letztlich profitieren alle: die Freiwilligen, die Gesellschaft, die Wirtschaft und die Organisationen. Damit Freiwilligendienste ihr volles Potential entfalten können, müssen die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass sie für alle zugänglich und attraktiv sind. Gemeinschaftliches Ziel sollte es daher sein, darauf hinzuarbeiten, dass immer mehr junge Menschen aus eigenem Antrieb und mit Freude für die Gesellschaft tätig werden wollen und das Engagement und Solidarität als wertvolle gesellschaftliche Normen anerkannt werden. So kann der Freiwilligendienst seinen Wert entfalten und nachhaltig zum Wohl der Gesellschaft beitragen.
Der LJR SH fordert daher alle politischen Entscheidungsträger*innen auf, die oben genannten Forderungen in den politischen Entscheidungsprozess zu integrieren und entsprechende Maßnahmen zur Förderung der Freiwilligendienste umzusetzen.
Beschluss der 98. Vollversammlung am 10.05.2025
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