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ÖPNV in Schleswig-Holstein jugendgerecht ausbauen

Beschluss der 94. Vollversammlung 2021

ÖPNV in Schleswig-Holstein jugendgerecht ausbauen

 Teilhabe ist nach der UN-Kinderrechtskonvention ein Grundrecht von Kindern und Jugendlichen. Mobilität ist eine der Voraussetzungen, um Teilhabe zu ermöglichen. In Schleswig-Holstein haben junge Menschen je nach ihrem Wohnort und persönlichem Hintergrund sehr unterschiedliche Mobilitätsmöglichkeiten. Dabei nutzen Kinder und Jugendliche in Schleswig-Holstein überdurchschnittlich oft den Nahverkehr, 14 bis 17jährige mehr als dreimal so oft wie über 25jährige. 1 Sie sind in ihrer Mobilität häufig abhängig vom ÖPNV, weil sie keinen Führerschein besitzen oder sich den Individualverkehr nicht leisten können. Auch aus ökologischen Gründen haben sie ein besonderes Interesse an einem guten ÖPNV mit Bus und Bahn – denn sie müssen auch morgen noch mit den Auswirkungen eines erhöhten CO2-Ausstoßes leben.

 Das ÖPNV-Gesetz Schleswig-Holstein spricht von Schüler*innen als eine der Gruppen, die zu berücksichtigen sind. Außerschulische Interessen von Kindern und Jugendlichen werden überhaupt nicht einbezogen. Die Offensive Nahverkehr stellt auch fest, dass es in den letzten Jahren zu einer Verschlechterung gekommen ist, die „insgesamt zu einer Verlängerung der durchschnittlichen Reiseweiten der Schüler“2 geführt hat. Gleichzeitig steigen die zeitliche Verdichtung und die Anforderungen, die von Schule, Ausbildung und Arbeit an die Mobilität junger Menschen gestellt werden. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, zukünftig das besondere Interesse junger Menschen am ÖPNV in Entscheidungsprozessen angemessen zu berücksichtigen.

 Als wichtigste Schritte für einen jugendgerechten ÖPNV in Schleswig-Holstein betrachten die Jugendverbände und Kreisjugendringe vorhandene Angebote attraktiv zu gestalten und auszubauen, die Taktung zu verbessern und das Netz zu erweitern. Dabei müssen folgende Punkte erfüllt werden:

 Mobilitätsgarantie

Junge Menschen benötigen eine Mobilitätsgarantie als Voraussetzung für Teilhabe. Die Meldung „ÖPNV steht nicht zur Verfügung“ darf auch im ländlichen Raum nicht vorkommen. Gerade auf dem Land fahren häufig nur Schulbusse zu den entsprechenden Zeiten und Orten. Ehrenamtliches Engagement wird dadurch ebenso erschwert wie Freizeitaktivitäten vom Schwimmbad- bis zum Kino- oder Discobesuch. Nachtbusse fahren an vielen Orten gar nicht, in den Ferien ist das Angebot z.T. stark reduziert. Bürgerbusse, die eine sinnvolle Ergänzung darstellen können, sind in der Regel nicht auf Bedürfnisse junger Menschen zugeschnitten, was Fahrtzeiten oder Ziele angeht. Um den ÖPNV jugendgerecht zu gestalten, ist es notwendig, alle Halte und Linien mindestens stündlich, täglich von 6 bis 23 Uhr und am Wochenende auch später zu bedienen. Neben der Verfügbarkeit spielt auch die Zuverlässigkeit eine wichtige Rolle. Ausfälle von Bus und Bahn können von Kindern und Jugendlichen nicht durch alternative Verkehrsmittel kompensiert werden.

Der Landesjugendring schlägt vor, in einer Bedarfsanalyse auch junge Menschen zu befragen, die den ÖPNV nicht oder wenig nutzen. Erhoben werden sollten Bedarfe an Verbindungen, Zeiten und Taktung z.B. nach Kreisgebiet und darüber hinaus. Zusätzlich sollten weitere Daten z.B. zu Berufs- und Hochschulstandorten und zu Freizeitangeboten einbezogen werden.

 Netzausbau

Die Streckenführung in Schleswig-Holstein muss auf die Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen überprüft werden. Dafür sind Informationen notwendig, welche Orte außer der Schule besucht werden und wo Anbindungsprobleme bestehen. Weiße Flecken im ÖPNV müssen beseitigt werden. Dies betrifft u.a. die Querverbindungen mit der Bahn innerhalb von Schleswig-Holstein. Der nächste Fernbahnhof sollte von jedem Ort in max. 60 min erreicht werden können. Auch für Jugendfreizeitstätten wie Jugendherbergen und andere Unterkünfte als Teil des Tourismus ist eine gute Erreichbarkeit mit dem ÖPNV wichtig.

Beim Ausbau des ÖPNV sind auch ökologische Auswirkungen zu berücksichtigen. Beachtet werden sollte z.B., welche Attraktivität neue Strecken für den Umstieg von individuellen Verkehrsmitteln auf den ÖPNV haben (z.B. schnelle Ost-West-Bahn im Vergleich zu längerer Fahrt mit dem Auto). Bahnstrecken müssen elektrifiziert werden bzw. Busse und Bahnen mit alternativem Antrieb ausgestattet werden.

 Freie Fahrt für junge Menschen

Der Landesjugendring fordert einen kostenlosen Nahverkehr für junge Menschen (s. Position „Für ein kostenloses landesweites Jugend-Ticket“). Auf dem Weg dorthin können rabattierte Dauerkarten für alle Kinder und Jugendlichen ein Schritt sein (Semesterticket für alle, 365€-Ticket o.ä.). So werden auch Hürden zur Teilhabe abgebaut wie z.B. die Problematik, dass Busfahrkarten für Schüler*innen nur bis zum Ende der Schulpflicht, aber nicht bis zum Ende der Schulzeit bezuschusst werden, Freiwilligendienstleistende einen Großteil ihres Taschengelds für Fahrtkosten ausgeben oder Jugendliche in der Zeit zwischen Schulabschluss und Ausbildungsbeginn den vollen Fahrpreis zahlen müssen.

Darüber hinaus stellt die Einführung eines einheitlichen, flächendeckenden Nordtarifs mit nachvollziehbarem Tarifsystem und erschwinglichen Preisen einen Meilenstein für die Attraktivität des ÖPNV dar.

 

Kein Ende an der Haltestelle

Für die Nutzung des ÖPNV ist insbesondere für Kinder und Jugendliche wichtig, dass der Weg zur Haltestelle und Anschlussmöglichkeiten nach Ausstieg aus dem Verkehrsmittel mitgedacht werden. Kindern und Jugendlichen müssen Mobilitätsmöglichkeiten jenseits des „Elterntaxis“ gegeben werden, die ihnen ermöglichen, sich altersgerecht zu verselbständigen und selbst zu organisieren. Viele sind zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs und müssen in zumutbarer Entfernung den ÖPNV erreichen können. Wichtig sind darüber hinaus z.B.

  • Beleuchtung, Unterstand und Fahrradabstellmöglichkeit an Haltestellen
  • kostenfreie Fahrradmitnahme mit ausreichend Kapazitäten in Bus und Bahn
  • beleuchtete Wege mit sicheren Überquerungsmöglichkeiten von großen Straßen
  • Anschlussmöglichkeiten/Verzahnung mit Leihfahrradsystemen, Ruf- und Bürgerbussen und notfalls Taxigutscheinen (insbesondere nachts/im Dunkeln)
  • ein barrierefreier Zugang.

 Jugendgerecht und attraktiv

Den ÖPNV jugendgerecht zu gestalten, bedeutet neben den benannten Punkten nicht zuletzt die digitale Zugänglichkeit von Informationen und Tickets für Schleswig-Holstein und darüber hinaus. Eine elektronische Mobilitätskarte mit überschaubaren Tarifen und der Abbildung von Anschlussmöglichkeiten auch an andere Verkehrsmittel wie z.B. Leihfahrräder ist eine zwingende Voraussetzung für einen attraktiven ÖPNV.

 Der Landesjugendring fordert die Landespolitik auf, den Ausbau des ÖPNV als zentrales Thema zu betrachten und dabei die Interessen junger Menschen maßgeblich zu berücksichtigen. Die Begutachtung des Netzes, für die bereits Mittel in den Landeshaushalt eingestellt wurden, muss auf die Bedarfe und Lebensrealitäten junger Menschen eingehen. Nur dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der ÖPNV als attraktiv empfunden und auch dann genutzt wird, wenn ein PKW als Alternative zur Verfügung steht.

 Weiterhin fordern die Jugendverbände und Kreisjugendringe eine bessere Beteiligung junger Menschen an der Verkehrsentwicklungsplanung auf allen Ebenen. Jugendverbände, Jugendringe und andere Vertretungen von Kindern und Jugendlichen müssen zu den Bedarfen junger Menschen gehört und ihre Vorschläge angemessen berücksichtigt werden.

 1 Vgl. LNVP für die Jahre 2013-2017, Offensive Nahverkehr, Kapitel 1.3., online unter https://www.nah.sh/de/nah-sh/lnvp, 04.02.2020.

2 Ebd., Kapitel 2.2.2.

 

Beschluss als PDF: ÖPNV in Schleswig-Holstein jugendgerecht ausbauen

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