Europa wählen ab 16 Jahren!
Beschluss der 97. Vollversammlung 2024
Beschluss der 96. Vollversammlung 2023
09.05.2023
Der Schleswig-Holsteinische Landtag beschloss am 30.06.22 den Antrag der Regierungsfraktionen „Jugendpolitische Strategie gemeinsam gestalten: Ziel ist möglichst viel Jugendbeteiligung“ (Drucksache 20/60), der als Alternativantrag zum Antrag von SSW und SPD „Einführung eines Jugend-Checks für Gesetze und Verordnungen in Schleswig-Holstein“ eingebracht wurde. Der Landesjugendring begrüßt, dass eine jugendpolitische Strategie geplant ist, die eine Beteiligung verschiedener relevanter Akteur*innen vorsieht.
Der Landesjugendring hat nach §12 SGB VIII die Aufgabe, Anliegen und Interessen junger Menschen zu vertreten. Dazu gehört, die Gestaltung von Jugendbeteiligung zu begleiten, Prozesse kritisch zu hinterfragen und an Lösungen mitzuwirken, die den Qualitätsansprüchen an Jugendbeteiligung genügen und möglichst allen Jugendlichen Beteiligung ermöglichen. Im Folgenden geht der Landesjugendring zunächst auf Diskussionspunkte ein, die sich aus dem Beschluss ergeben, und legt anschließend Vorschläge zum weiteren Vorgehen vor.
1. Entwicklung einer jugendpolitischen Strategie
Jugendpolitik umfasst die gesamte Lebenswelt junger Menschen bis 27 Jahre. Dazu gehören Freizeit und Ehrenamt, Schule und Ausbildung, Digitalisierung, Wohnen, Mobilität, Nachhaltigkeit und viele weitere Themenfelder. Der Landesjugendring würde eine solch umfassende Strategie begrüßen, allerdings ist im weiteren Beschluss ausschließlich von der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen die Rede. Beteiligung ist zweifellos zentral für die Frage einer jugendfreundlichen Politik, aber nicht ausreichend für eine jugendpolitische Gesamtstrategie. Hier erwarten wir von der Landesregierung eine Erweiterung der Beschlussfassung auf weitere Themenfelder.
2. Voraussetzungen in SH für Jugendbeteiligung
Als gute Voraussetzungen für Beteiligung in SH werden §47f GO, das Jugendparlament und die Praxis der Förderung der Jugendverbände genannt. Geprüft werden soll laut Beschluss, „wie wir zum Beispiel die verpflichtenden Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche noch weiter mit Leben füllen können“. Diese Formulierung weist bereits darauf hin, dass die formal geschaffenen Beteiligungsmöglichkeiten defizitär sind. Der Landesjugendring geht davon aus, dass „die verpflichtenden Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten“ die rechtlich bereits vorhandene formale Verpflichtung meint. Diese beschränkt sich auf §47f GO, die Schüler*innenvertretung laut Schulgesetz, die Jugend- und Auszubildendenvertretung nach §60 BetrVG sowie §4 JuFöG (Beteiligung an Entscheidungen der Jugendhilfe durch „Unterrichtung“ und Gespräche, Förderung der Selbstvertretung).
Der Landesjugendring unterstützt das Anliegen, die bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten mit Leben zu füllen, da sowohl die kommunale Jugendbeteiligung (die über Jugendparlamente hinausgeht) als auch Beteiligung in Schule, an allen weiteren Orten und Institutionen des Aufwachsens und auch die Förderung der Jugendverbände deutliche Aufholbedarfe aufweisen. Darüber hinaus fordert der Landesjugendring zusätzlich den Ausbau weiterer formaler Verpflichtungen (z.B. Verbandsklagerecht zu §47f GO) und Schaffung neuer formaler und informeller Mitwirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Dies wird nur möglich sein, wenn landesweit zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden – Kinder- und Jugendbeteiligung erfordert ein aktives Vorgehen und ist nicht zum Nulltarif zu haben. Im ersten Schritt sind die Anforderungen an Jugendbeteiligung und geeignete Formate zu klären. Bereits dies muss im Rahmen eines Beteiligungsprozesses erfolgen. Daran muss sich im zweiten Schritt die Ausstattung mit Personal- und Sachkosten orientieren.
3. Einrichtung einer legitimierten Kinder- und Jugendvertretung im Landtag
Die Regierungsfraktionen wollen „die Einrichtung einer legitimierten Kinder- und Jugendvertretung im Landtag im Rahmen der Arbeit an der Jugendstrategie ergebnisoffen diskutieren“, „Ziel soll möglichst viel Jugendbeteiligung sein“.
Vor der Festlegung eines Beteiligungsformats sollte zunächst die Frage gestellt werden, mit welchem Ziel Jugendbeteiligung auf Landesebene ausgebaut werden soll. Dabei kann es sehr unterschiedliche Ziele geben, z.B.
All diese Gründe sind legitim, erfordern aber unterschiedliche Herangehensweisen und Formate und entsprechen nicht unbedingt den Vorstellungen von Jugendlichen. Vorrangiges Ziel von Jugendbeteiligung aus Sicht des Landesjugendrings ist es, allen jungen Menschen zu ermöglichen, sich entsprechend der eigenen Interessen zu beteiligen und einzubringen und dadurch Selbstwirksamkeit zu erleben – sei es über ein Jugendparlament, Projekte, den jeweiligen Jugendverband oder -ring oder andere Beteiligungsformen. Aktuell beobachten wir in Schleswig-Holstein und bundesweit eine Engführung auf Beteiligungsformate, die Erwachsenenstrukturen kopieren, ohne dass hinterfragt wird, ob diese für das angestrebte Ziel und für Jugendliche die richtige Wahl sind. Hier muss Jugendbeteiligung breiter gedacht werden.
In Bezug auf eine Jugendvertretung im Landtag als ein mögliches Beteiligungsformat stellen bereits die Anreise nach Kiel (oder eine Teilnahme per Videokonferenz) und die Arbeit in einem Gremium hohe Zugangsbarrieren dar. Eine Reduzierung auf ein solches Format kann dazu führen, dass viele junge Menschen ausgeschlossen werden und Beteiligungsmöglichkeiten thematisch sowie in Bezug auf das Verfahren stark eingegrenzt sind.
Als „legitimiert“ versteht der Landesjugendring in diesem Zusammenhang eine Vertretung, die nach demokratischen Gesichtspunkten gewählt ist und eine breite Vielfalt von Jugendlichen repräsentieren kann. Hierzu gäbe es zwei Möglichkeiten:
Bei beiden genannten Möglichkeiten sieht der Landesjugendring daher keine sinnvolle Durchführbarkeit für die geplante Jugendvertretung im Landtag.
Neben den formalen Aspekten der Einrichtung einer Jugendvertretung im Landtag plädiert der Landesjugendring inhaltlich für einen differenzierteren Blick auf das Thema Jugendbeteiligung. Er fordert die Landespolitik auf, den Beschluss zu erweitern und nicht nur „möglichst viel Jugendbeteiligung“ zum Ziel zu machen, sondern dabei auch Qualitätsstandards für echte Jugendbeteiligung anzulegen. Diese liegen seit langem vor (u.a. herausgegeben vom Bundesfamilienministerium) und werden zurzeit auf Bundesebene von einem breiten Expert*innenkreis aktualisiert. Die Qualitätsstandards basieren u.a. auf Stufenmodellen zur Partizipation, die bei Manipulation/Dekoration, Information/Anhörung/Alibi-Beteiligung und Beratung beginnen. Erst auf den Stufen von Mitsprache und Mitwirkung, Mitbestimmung sowie Selbstbestimmung kann von einer wirklichen Beteiligung mit Machtverteilung ausgegangen werden. Einig sind sich Expert*innen auch darin, dass es nicht „das“ Instrument zur Jugendbeteiligung gibt, sondern eine Vielfalt der Methoden und Zugänge erforderlich ist.
Qualitätsstandards für echte Jugendbeteiligung sind z.B. die Übertragung von Entscheidungsmacht, ein Lebensweltbezug der Themen und die Herstellung von Augenhöhe/Gleichwertigkeit der Stimme. Themen müssen selbst gewählt und für die beteiligten Jugendlichen bedeutsam sein, die Gestaltung der Beteiligungsstrukturen muss durch die Jugendlichen selbst bestimmt werden und alle Beteiligten von Anfang bis Ende in den Prozess involvieren. Beteiligung ist immer mit Machtabgabe durch Erwachsene verbunden, die zum einen mit Rechten und Pflichten für die beteiligten Jugendlichen einhergeht und zum anderen Grenzen hat. Dies muss gemeinsam ausgehandelt und transparent gemacht werden.
In der praktischen Umsetzung einer Kinder- und Jugendvertretung im Landtag sieht der Landesjugendring die Erfüllung dieser und weiterer Qualitätsstandards nicht gewährleistet. Problematisch ist, dass Jugendliche neben Schule und Ausbildung nur mit einem geringen Zeitbudget tätig werden können und sich Themen nicht in derselben Tiefe wie Abgeordnete erschließen können, die in Vollzeit mit hauptamtlichen Mitarbeiter*innen und verschiedenen Erfahrungshintergründen tätig sind. Dies verhindert eine Beteiligung auf Augenhöhe.
Zusammenfassend stellt der Landesjugendring fest, dass es für eine Jugendvertretung im Landtag folgende Hindernisse gibt:
Aus fachlichen Gründen lehnt der Landesjugendring daher die Einrichtung eines solchen Gremiums unter den aktuellen Voraussetzungen ab. Statt der Verengung der Diskussion auf ein Format sollte Jugendbeteiligung in ihrer Breite in Schleswig-Holstein in den Mittelpunkt rücken. Die geplante Entwicklung einer Strategie begrüßt der Landesjugendring ausdrücklich und macht dazu am Ende dieser Positionierung konkrete Vorschläge.
4. Beachtung der Folgen von Gesetzgebungsvorhaben für die Belange von Jugendlichen
Die Landesregierung will „den Folgen von Gesetzgebungsvorhaben für die Belange von Jugendlichen in der Regierung und im Parlament die gebotene Beachtung zukommen lassen“. Aus der Formulierung und dem Hintergrund, dass es sich um einen Alternativantrag zur Einführung eines Jugend-Checks handelt, ergibt sich, dass es in den Regierungsfraktionen bisher keine Einigkeit zur Einführung eines Jugend-Checks gibt. Der LJR hat zum Jugend-Check bereits in einer mündlichen Anhörung im März 2022 Stellung genommen, die Einführung befürwortet und in seine jugendpolitischen Forderungen zur Landtagswahl aufgenommen. Für den Landesjugendring sind wichtige Forderungen an den Jugend-Check:
Die Entwicklung eines Jugend-Checks für SH braucht Zeit, die man sich nehmen sollte:
In der Diskussion um den Jugend-Check ist es wichtig zu unterscheiden, was ein Jugend-Check kann und was nicht. Er ist
Herausforderungen bei der Einführung könnten z.B. sein:
5. Vorschläge des Landesjugendrings für eine Strategie zur Stärkung der landesweiten Jugendbeteiligung
Der Landesjugendring ist eingangs auf die mangelhafte Umsetzung von Jugendbeteiligung in SH eingegangen und hat seine Anforderungen formuliert, ein Angebot für alle Jugendlichen zu schaffen und Qualitätsstandards einzuhalten.
Auf Landesebene gibt es bereits einige Möglichkeiten für Jugendliche, sich auf Landesebene politisch einzubringen, z.B.:
Die Beteiligung von Jugendlichen auf Landesebene bleibt aber immer mit hohen Zugangsschwellen verbunden, da sie u.a. Zeit, Mobilität, ein hohes Maß an Selbständigkeit und Sprachkompetenz sowie einen aktiven Blick auf die Landesebene voraussetzt. Der Landesjugendring fordert von einer landesweiten Strategie zur Jugendbeteiligung, dass sie sich vorrangig an den Interessen von Jugendlichen und ihrer Lebenswelt orientiert und nicht an den Interessen von Politik (s.o., Gründe für Jugendbeteiligung). Dazu gehört u.a., dass Jugendbeteiligung
Der Landesjugendring hält es daher für notwendig, bei einer landesweiten Beteiligungsstrategie vorrangig die Beteiligung vor Ort zu stärken. Den weiteren Zielen und Bedürfnissen von Politik (s.o.) kann dadurch Rechnung getragen werden, dass Politiker*innen sich zu Jugendlichen hin bewegen, statt Jugendliche in vorgegebenen Formaten zu sich zu holen.
Die Einrichtung von Regionalstellen für Jugendbeteiligung mit Unterstützung durch das Land ermöglicht eine flächendeckende Beteiligungsstruktur. Diese Regionalstellen müssen bei freien Trägern (z.B. Kreisjugendringen) angesiedelt werden, um zu gewährleisten, dass Mitarbeiter*innen politisch unabhängig agieren können. Aufgaben der Regionalstellen:
In einigen Kreisen gibt es bereits Ansätze für solche Regionalstellen, von deren Erfahrungen ausgehend ein entsprechendes landesweites Projekt entwickelt werden könnte. Auf Landesebene sollte eine Anlaufstelle die Arbeit begleiten, um landesweite Angebote für die Regionalstellen zu machen, den Austausch und die Einhaltung von Qualitätsstandards sicherzustellen und ggf. landesweite Veranstaltungen für Jugendliche zu organisieren. Denkbar wäre z.B., in jeder Region drei bis vier Veranstaltungen/Projekte o.ä. im Jahr mit einer Mischung aus niedrigschwelligen Praxisformaten und Diskussionsformaten durchzuführen. Eine der Veranstaltungen könnte zur Vorbereitung einer jährlichen landesweiten Veranstaltung mit Jugendlichen, die von der Anlaufstelle auf Landesebene verantwortet wird, dienen.
Weitere Forderungen des Landesjugendrings zur Stärkung der Jugendbeteiligung umfassen